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Jugend
und FKK
Naturismus in einer Phase der
Umstellung
"Ich bin froh, dass Jan und Oliver eine
Badehose anhaben", sagt Tanja zu ihrem Vater, der erstaunt die
Augenbrauen hochzieht. Alle Sommerferien ihrer 15 Lebensjahre
hat Tanja mit ihren Eltern am FKK-Strand verbracht und ohne die
geringste Regung tausende nackter Männer gesehen. Und vor zwei
Jahren waren die Söhne der befreundeten Familie auch nur im
Adamskostüm unterwegs. Während der Vater noch nach einer Antwort
sucht, fährt Tanja fort: "und du hast doch nichts dagegen, dass
ich mein Höschen anbehalte?" "Das ist hier wirklich nicht nötig,
wo doch alle nackt sind," meint Papa, "aber es stört auch
keinen, wenn du das Höschen anlässt." Er will auf keinen Fall
durch Prinzipienreiterei die Harmonie des naturistischen
Familienurlaubs stören.
Jugendliche brauchen die Freiheit, ihr Handeln selbst zu
bestimmen und auch in die Verantwortung für ihren Körper
hineinzuwachsen. Denn es ist nicht ganz einfach, die gute
Beziehung zum Körper aus der Kindheit ins Erwachsenenalter zu
übertragen. Von außen werden die jungen Leute in Mode- und
Lifestyletrends hineingezogen, und sie müssen mit
Leistungsanforderungen und sich ändernden sozialen Bezügen
umgehen lernen. Biologisch werden fast auf einen Schlag aus
Kindern Männer und Frauen. Doch die erforderliche Umorientierung
kann nicht schnell und einfach vonstatten gehen, zumal sie in
einer Gesellschaft leben, die zum Teil immer noch mit der
Sexualität auf dem Kriegsfuß steht.
Fast von einem Tag auf den anderen sendet und empfängt der
heranwachsende Körper Signale, die in der Kindheit keine Rolle
spielten. Mädchen entwickeln Körpermerkmale, die es ihnen
ermöglichen, durch Körpersprache erotische Botschaften
auszusenden. Sie wollen natürlich nicht, dass das unwillentlich
geschieht und sind sehr irritiert, wenn sie etwa angegafft oder
angequatscht werden. Solange sie sich ihrer Körpersprache noch
nicht sicher sind, halten sie sich lieber bedeckt -- und das
muss auch unter Naturisten ihr gutes Recht sein.
Jungen können unvermittelt eine Erektion bekommen. Zunächst
sind es gar keine erotischen Signale oder Phantasien, die dies
auslösen, sondern einfache Sinneseindrücke wie Wind oder Wasser
an nackter Haut oder Bewegungsabläufe beim Sport. Dies ist
zunächst unberechenbar und führt zur Verunsicherung, zumal
Jugendliche längst gemerkt haben, dass in Teilen unserer
Gesellschaft ein äußerst zwiespältiges Verhältnis zur Funktion
der Geschlechtsorgane besteht. Bevor das Eigenleben ihres Penis
peinlich werden könnte, ziehen die Jungs lieber ihre knielangen,
weiten Sport- oder Badehosen an, in denen eine Erektion nicht
auffällt. Und Tanja ist es lieber, wenn sie davon nichts sieht,
dann muss sie sich auch keine Gedanken machen, ob es etwas mit
ihr zu tun haben könnte.
Wegen der Erektion eines Jungen braucht niemand in Panik zu
verfallen, denn es ist normal, wenn der Körper von Zeit zu Zeit
die Funktionen ausprobiert, die er später einmal brauchen wird.
Man sollte dies positiv sehen und sich freuen, dass junge Männer
heranwachsen, die zu gegebener Zeit für den Fortbestand unserer
Gesellschaft Verantwortung übernehmen können.
Doch in der realen Welt des Naturismus brauchen die jungen
Leute auch die Freiheit, Kleidung tragen zu dürfen. Damit dürfen
sie sich die wenigen Jahre erleichtern, bis sie sich in ihrem
erwachsenen Körper richtig eingelebt haben, seine Sprache
beherrschen und seine Regungen verstehen. In einem Umfeld, zu
dem sie Vertrauen fassen können, finden sie am schnellsten
wieder zum harmonischen Körpergefühl ihrer Kindheit zurück. Und
das geht am besten im Kreis von Angehörigen und Freunden, die
selbst mit ihrem Körper im Einklang sind.
In der wärmenden Abendsonne sitzen
einige befreundete Familien am Strand zu einem fröhlichen
Picknick. Als die Sonne ganz tief steht, ruft Tanja: "Hey, wir
schwimmen in den Sonnenuntergang!" und schon befreit sie sich
von allen Klamotten, auch Jan und Oliver und die Kinder der
anderen Familien machen mit -- ebenso die meisten Erwachsenen.
Und alle stürmen komplett textilfrei zum Strand. Die Mädchen
springen wie Delfine über die Wellen, die Jungs machen ein
Wellenbrett-Wettrennen. Papa wirft die kleine Schwester in die
Luft, sie kann gar nicht genug davon kriegen. Alle sind
vergnügt, keiner wird durch körperliche Reaktionen überrascht,
und die Körpersprache signalisiert nichts anderes als pure
Lebensfreude vor der traumhaften Kulisse des Sonnenuntergangs.
Aus der Realität des eigenen
Erlebens gegriffen von Lorenz Kerscher |
Pierre-Auguste Renoir, "junge
Badende" |